Im Mulsumer Heimat- und Kulturverein e.V. haben sich 2017 mehrere Vereine des etwa 2.000 Einwohner*innen zählenden Ortes Mulsum bei Stade zusammengeschlossen; er umfasst zurzeit etwa 200 Mitglieder. Die Institution ist mit ihren verschiedenen Sparten breit aufgestellt: Sie betreut eine Landmaschinenhalle, eine Moorschutzhütte sowie eine Streuobstwiese, außerdem ist die hiesige Trachtengruppe Teil des Vereins. Wesentlicher Dreh- und Angelpunkt der Vereinsaktivitäten ist aber die Windmühle „Anna Maria“. Die historische Holländer-Mühle ist touristische Attraktion und wird von Hochzeitsgesellschaften auch aus dem Umland bis nach Hamburg für Feierlichkeiten genutzt, vor allem aber soll sie auch den Mulsumern selbst als Veranstaltungsort dienen. Dies war allerdings nur eingeschränkt möglich, bis der Veranstaltungsbereich 2022 umfassend ausgebaut wurde – zeitgleich zu Restaurierungsmaßnahmen an der Mühle selbst, die durch die Niedersächsische Sparkassenstiftung und die Kreissparkasse Stade unterstützt wurden (Link zum Beitrag). Wir sprachen mit Marko Hohmeister und Hans Wilhelm Tiedemann aus dem Vorstand des Mulsumer Heimat- und Kulturvereins über die Mühle als Kulturort und über Möglichkeiten, das ehrenamtliche Engagement in Mulsum zu stärken.
Was hat sich durch die Restaurierungs- und Umbauarbeiten verändert?
Tiedemann: In der Mühle fehlte Infrastruktur wie Frischwasser, Toiletten, eine Kläranlage – vor allem aber auch ein Raum, den man für gesellschaftliche oder kulturelle Veranstaltungen hätte nutzen können. Außerdem musste das Gebäude energetisch ertüchtigt werden. Im Rahmen der Sanierung wurde der Raum isoliert, wir können jetzt heizen, so dass die Mühle auch im Herbst und Winter zur Verfügung steht. Außerdem gibt es eine kleine Küche, wir haben Stühle angeschafft, die Toilette ist barrierefrei. Jetzt ist der Raum so, wie wir uns das vorgestellt haben.
Hohmeister: Wir haben ja auch vorher schon Veranstaltungen an der Mulsumer Mühle gehabt: den Mühlentag, den Tag des offenen Denkmals, unseren plattdeutschen Abend. Oder wir haben die Mühle für externe Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, für Trauungen, Geburtstage oder Treffen vom Roten Kreuz oder den Landfrauen. Das funktionierte aber nur in den wärmeren Monaten.
Mit den neu ausgebauten Räumlichkeiten ist nun deutlich mehr machbar. Wir wollen die Mühle öffnen für alle! So veranstalten wir Ende Januar zum ersten Mal den Mulsumer Neujahrsempfang: Wir laden ganz Mulsum ein auf Getränke und Snacks, um das neue Jahr zu begrüßen, vor allem aber, um den Vereinen die Möglichkeit zu geben, sich vorzustellen – und dabei auch dafür zu werben, sich bei ihnen ehrenamtlich zu engagieren. Natürlich wollen wir dabei aber auch unsere neu sanierte Mühle präsentieren und kundtun, dass man die Mühle auch für Veranstaltungen mieten kann. Denn prinzipiell kennen ja alle die Mühle, haben sie aber teilweise von innen noch gar nicht gesehen.
Beim Mühlentag im Juni planen wir neben Kaffee, Kuchen und Gegrilltem auch eine Kooperation mit dem Kutenholzer Archiv, um den Einwohnern, gerade auch den neu zugezogenen Mulsumern, auf anschauliche Art und Weise Geschichtliches über ihren Ort vermitteln nach dem Motto „Ach schau mal, das Haus da kenn ich doch, da wohnt ja mein Nachbar.“ Oder sogar: „Das ist ja das Haus, in dem wir jetzt leben!“ Auch hier arbeiten wir vereinsübergreifend, denn nur alle zusammen können etwas umsetzen. Mit solchen Kooperationen wollen wir die Gemeinschaft noch mehr zusammenzubringen, dabei soll aber natürlich jeder Verein seine Identität bewahren. Wir haben einen gemeinsamen Veranstaltungskalender und eine WhatsApp-Gruppe zum Austausch ins Leben gerufen. Mittelfristig funktioniert das Zusammenleben nur, wenn wir alle an einem Strang ziehen.
Viele Vereine und gemeinnützige Institutionen haben Schwierigkeiten, Nachwuchs für das Ehrenamt zu gewinnen. Was ist Ihre Strategie?
Hohmeister: Wir versuchen, über unsere Angebote auch jüngere Zielgruppen, zum Beispiel junge Familien, anzusprechen. So veranstalten wir regelmäßig Märchenabende: Da kommen die Kinder, aber natürlich auch deren Eltern, die meisten im Alter zwischen 22 und 40 – das sind genau die, die ich haben will. Wenn die dann die Mühle für sich entdecken und merken, wie schön es dort ist, habe ich dadurch vielleicht auch jemanden gewonnen, der bereit ist, sich zu engagieren.
Für viele der Veranstaltungen werden in ganz Mulsum Postkarten verteilt. Aber noch wichtiger ist der persönliche Kontakt: Im Grunde muss man überall dort, wo man in Mulsum ist, die Leute direkt ansprechen.
Tiedemann: Die Struktur im Dorf hat sich ja auch verändert in den letzten Jahrzehnten. Früher gab es noch viele Arbeitsplätze im Dorf, aber die Geschäfte und Handwerksbetriebe sind fast alle raus, viele Leute arbeiten deshalb jetzt außerhalb, das geht bis nach Hamburg. Wenn die dann nach acht Stunden Arbeit und drei Stunden Fahrzeit (hin und zurück) abends nach Hause kommen, dann sind sie eher damit beschäftigt, sich um ihre Familie zu kümmern oder um ihr Haus, was sie gerade neu gebaut haben. Da bleibt wenig Zeit, um sich in einem Verein zu engagieren, und da stehen wir – zumindest was die Zeit betrifft – ja auch in Konkurrenz zu den anderen Vereinen. Man kann ja nicht überall sein! Immerhin ist die Situation für uns in den letzten Jahren etwas besser geworden. Dazu trägt bei, dass wir viel Öffentlichkeitsarbeit betreiben und sehr präsent im Ort sind, aber eben auch, dass uns jetzt die sanierte Mühle zur Verfügung steht.
Kann eine jüngere Generation mit einem „Heimat- und Kulturverein“ etwas anfangen? Oder gibt es ein „Imageproblem“?
Tiedemann: Das Wort „Heimat“ klingt vielleicht erst mal „altbacksch“, aber es bedeutet ja: dort, wo ich aufgewachsen bin. Wir müssen auch denen, die nachwachsen, den Kindern und Jugendlichen, zeigen: Heimat ist nicht nur Vergangenheit, Heimat ist auch Zukunft. Auch die, die sich in der Mühle trauen lassen, sind ja in der Regel junge Menschen, die das Ambiente bei uns sehr schätzen und sich lieber bei uns als im Amtszimmer trauen lassen. Auch die merken bei diesem Anlass ja, dass bei uns was los ist und kommen dann hoffentlich auch wieder, auch mit ihren Kindern, wenn sie denn später welche haben. Oder das Beispiel unserer Streuobstwiese: Da haben wir eine „Streuobstpädagogin“, die ein eher jüngeres Netzwerk anspricht. Wenn sie zu einer Führung einlädt, kommen dazu ganz andere Leute, die man ansonsten bei unseren Veranstaltungen noch nicht gesehen hat.
Hohmeister: Tatsächlich habe ich mich das zuerst gefragt, als ich vor vier Jahren nach Mulsum gezogen bin und den ersten Kontakt zum Heimat- und Kulturverein hatte: „Ist das nicht wahnsinnig altmodisch?“ Wenn man das aber genau betrachtet, sind ja beide – „Heimat“ und „Kultur“ – „Hammer“-Begriffe! Es ist also unsere Aufgabe, das in die Moderne zu tragen. Perspektivisch würden wir beispielsweise gerne ein kleines Band-Festival auf unserem Gelände machen – auch wieder in einem Miteinander mit anderen Vereinen – um auch da zu zeigen: Der KULTUR-Verein macht auch junge Musik und holt damit die jungen Menschen ab. Das müssen wir uns eher auf die Fahne schreiben, als darüber nachzudenken, ob wir uns umbenennen müssten, um nach außen hin moderner aufzutreten.
Herr Hohmeister, Herr Tiedemann, herzlichen Dank für das Gespräch!